Tief bewegt hat mich der Auszug des Buches "Tanner geht" in der Welt.
Ulrich Tanner, geboren 1956, leidet an Aids, Darmkrebs und Parkinson. Um seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende setzen zu können, wendet er sich an die schweizer Organisation Dignitas. Dignitas ermöglicht schwerkranken Menschen in der Schweiz, durch Bereitstellen einer tödlichen Menge eines Betäubungsmitels, den selbstbestimmten Tod.
Doch Dignitas ist kein caricativer Verein, der sich aus Spenden finanziert. Ulrich Tanner hat für diesen Service rund 6.000 Euro bezahlt, dafür aber allinklusiv. Von Behördengängen angefangen, bis zur Überstellung seiner, ihn dann enthaltenden Urne.
Herr Tanner wandt sich an Dignitas und mußte erst einmal warten. Warten, ob Dignitas ihn für krank genug erachtet, dass er sich mit ihrer Hilfe das Leben nehmen darf. Dignitas entscheidet also, welche Krankheit würdig ist, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Ebenfalls entscheidet Dignitas, wann der selbstbestimmte Tod einzutreten hat. Die Organisation vergibt Termine für den geplanten Selbstmord. Früher oder Später? Lieber nicht! Hier geht sehr viel von dem liberalen Gedanken eines selbstbestimmten Lebens mit einem selbstbestimmten Ende verloren. Die horende Aufwandsentschädigung lässt auch an der humanitären Gesinnung von Dignitas zweifeln.
Wäre Herr Tanner nicht vermögend, dann hätte er die Behördengänge als schwerkranker Mensch selbst durchführen müssen. Sicher, dabei hätte er seine Entscheidung hinterfragen können, doch er litt an starken Schmerzen. Behördengänge wären zur Qual geworden. So bezahlte Herr Tanner die Gebühr und arrangierte sich mit dem zugeteilten Todestag.
Warum mußte Herr Tanner in Deutschland Schmerzen ertragen? Warum geht in Deutschland niemand auf den Wunsch totkranker Menschen ein, eines selbstbestimmten Endes? Wäre es nicht humaner, wenn Herr Tanner seinem Hausarzt den Wunsch vortragen würde und dieser ihn mit einem Psychologen und einer guten Schmerztherapie begleitet, bis der Mensch sagt es reicht, jetzt ist Schluss?
Der Mensch wäre schmerzfrei, in seiner vertrauten Umgebung, mit seiner Familie und seinen Freunden. Er hätte einen vertrauten Ansprechpartner, der auf geringfügige Veränderungen reagieren kann. Die professionelle psychologische Hilfe würde ihn stabilisieren und, wenn es perfekt läuft, ihm vielleicht den größten Teil seiner Ängste nehmen. Mit einer rechtlich abgesicherten, für alle Parteien verbindlichen, Patientenverfügung könnte der Mensch seinen Leidensweg eingrenzen und somit ein selbstbestimmtes Ende setzen. Die Schmerzfreiheit ist aber hier erste Pflicht! Wie soll sich denn ein Mensch frei entscheiden können , wenn er von vernichtenden Schmerzen gequält wird? Hier sind die Ärzte gefragt. Ist es schlimm, wenn ein totkranker Mensch, dessen Zeit offensichtlich begrenzt ist, abhängig wird? Nebenwirkungen sollten vermieden und falls sie auftreten ausgemerzt werden, aber nicht auf Kosten der Schmerzfreiheit. Viele Hospize arbeiten so.
Doch was ist, wenn sich jetzt der Mensch aus freiem Willen, in einem stabilen psychischen Zustand dafür entscheidet seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen? In Deutschland hilft da nur, um es platt auszudrücken, von der Brücke springen. Warum darf der Arzt nicht den totkranken Menschen, die er begleitet, wo die Einnahme ohne Missbrauch gewährleistet ist, ein tötlich dosiertes Betäubungsmittel verschreiben? Der Patient entscheidet dann selber, wann und wo er es einnimmt und ob er alleine oder im Kreis seiner vertrauten Menschen sterben will. Er müßte nicht wie Herr Tanner in ein fremdes Land zum Sterben fahren. Er müßte dann auch nicht das Mittel in einem fremden Hotelzimmer alleine einnehmen, er hätte die Wahl.
Zeitweise mußten diese Menschen ihren Selbstmord in der Schweiz auf einem Rastplatz durchführen , da es Dignitas untersagt wurde, Wohnungen oder Hotelzimmer dafür anzumieten. Besorgte Anwohner hatten sich beschwert, der ständige Leichenwagen beunruhigte sie.
Dignitas wich dann eben in die freie Natur und den Gesetzen aus, ohne eine Lösung für ihre Kunden anzustreben. Sie wollen sterben? Aber gerne, bitte hier auf dem Rastplatz!
Ist so etwas von einem humanitären Gedanken geprägt?
Herr Tanner entschied sich trozdem für Dignitas. Welche Möglichkeit hätte er sonst gehabt?
Er regelte alles, verbrachte sein letztes Weihnachtsfest bewußt alleine zu Hause und feierte Sylvester mit seinen Freunden. Herr Tanner zählte die Tage bis zu seinem Tod, entwarf seine eigene Todesanzeige, da er seinen Freunden nicht zumuten wollte, diese zu schreiben oder für ihn zu gestalten. Er beschäftigte sich mit seiner Vergangenheit und setzte sich mutmaßlich mit seiner Situation auseinander.
Früher träumte er davon ein Bild eines bestimmten Künstlers zu besitzen. Herr Tanner war vermögend. Auf die Frage des Journalisten, warum er sich denn nicht noch diesen Traum erfüllen würde, antwortete er, dass er nur noch 37 Tage zu leben hätte und man in seiner Situation nicht mehr träumen würde. Träume hätten etwas mit Zukunft zu tun, und die hätte er nicht. Der Journalist fragte, ob er es sich denn nicht noch einmal überlegen möge.
Herr Tanner antwortete darauf, dass er nichts verstanden hätte oder in welcher Situation er sich befände.
Das Buch erscheint am 9.9.2008 unter dem Titel " Tanner geht".