Immer wieder hebt sie wild gestikulierend die kleine Hand. Sie ist sowie so sehr klein und dünn. Selbst ihr graues strubbeliges Haar sieht in dünnen Strähnen unter der dreckigen groben Wollmütze hervor. Nur ihre Nase nicht, die ist knubbelig und sitzt gerade im wettergegerbten Gesicht. Prall gefüllte Plastiktüten trägt sie mit sich herum, die ihr immer wieder gegen die Beine schlagen. Der Mund scheint nicht still stehen zu können. Sie schimpft dauerhaft und laut, begleitet von der kleinen gestikulierenden Hand. Niemand stört sich an dieser kleinen aufgebrachten Frau, deren Alter sich schwer schätzen lässt. Die Jahre im Freien haben ihr sehr zugesetzt. Manchmal sieht man sie mit ihrem kompletten Hausstand schimpfend durch die Innenstadt ziehen, offenkundig ohne Ziel. Sie spricht niemanden an, sie bettelt nicht, sie schimpft nur.
Ihr Blick ist klar und fordernd, doch ihre Augen scheinen in eine andere Welt zu blicken. Eine Welt, die sie beschimpft, laut und dauerhaft, ohne sie verlassen zu wollen, oder zu können. Vielleicht hat sie in dieser Welt noch etwas zu erledigen, was sie so ruhelos umherstreifen lässt. Selten sieht man sie, in sich versunken auf irgendwelchen Stufen sitzen. Selbst in der Rast nestelt sie an ihren Habseligkeiten.
Doch wenn es Abend wird, dann ist ihr Ziel greifbar! Auf der obersten Stufe des Eingangs zum Rathaus, gegenüber des großen Marktplatzes, wird ihre Isomatte ausgerollt und der dicke Schlafsack bis zu den Ohren hochgezogen. Nur die Wollmütze und die Nase blitzen hervor. Ihr Gepäck liegt sicher um sie herum verstaut. Von niemandem wird sie hier gestört oder weggejagt. Es sieht fast so aus, als ob ihr dieser Platz Ruhe geben könnte, damit sie Kräfte sammelt für den nächsten Tag, an dem sie wieder die Dämonen in einer uns fremden Welt beschimpfen muss.
3 Kommentare:
Hast du schon mal überlegt ein Kinderbuch zu schreiben? :-) Du schreibst so lebendig und anschaulich, dass ich nach 2 Zeilen schon wußte, um wen es sich handelt. Es ist eine arme Frau. Man sagt, sie habe ihren Mann und Hab und Gut bei einem Hausbrand verloren. Aus diesem Trauma heraus kann sie sich wohl nicht mehr in geschlossenen Räumen aufhalten und "wohnt" schon jahrelang draußen.
LG
Christiane
Ich bin immer wieder, immer noch geschockt, wenn ich solche Leute sehe.
Vor etlichen Jahren habe ich den unaufhaltsamen Niedergang einer Kneipenbekanntschaft miterlebt. Wir haben alle versucht zu helfen, aber er wollte sich nicht helfen lassen. Aus Scham.
Letztendlich starb er auf einer Kirchentreppe im Eingang. Erfroren im Schnee.
Von dem etwas geschützteren Platz hatten ihn die Kirchenfutzis verscheucht und bewusst die Türe verrammelt.
Wäre ja auch noch schöner, wenn sich die Penner bei - 15 C in der Kirche aufwärmen könnten. Wo gibts denn sowas....
Das läuft mir immer noch nach
@christiane
Was ihr passiert ist, dass wußte ich nicht.Irgendwoher muss dieser Zorn ja herkommen...
@KIngsizefairy
Ist das schrecklich!Nach einem Warum braucht man wohl nicht zu fragen, man bekommt eh keine Antwort.Ist das gemein!
Aber das ist dann der verantwortungsbewußte Umgang mit seinen Mitmenschen....
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