Dienstag, 24. November 2009

Wut

Der Mann ist 1,90 m groß, lächelt nett und greift mir in den Ausschnitt.
Begleitet dies mit den Worten,: „ Nackt sind Sie bestimmt auch ganz hübsch.“
Stumm starrte ich ihn an. Er lächelte immer noch.
Mir stieg die Wut in den Kopf.
Ich ging einen Schritt zurück.
Weg mit seinen Fingern aus meinem Ausschnitt!
Damals war ich zwanzig Jahre alt und hatte gerade mit meiner Ausbildung zur Krankenschwester begonnen.
Meine Kursleitung, ein Mann, hatte direkt zu Beginn der Ausbildung mit uns über solche Vorfälle gesprochen. Er wurde nicht müde zu erwähnen, dass er immer ein offenes Ohr dafür hätte und wir uns unter allen Umständen bei ihm melden sollten.
Es war nicht das erste mal, dass dieser Patient mir eindeutige Angebote machte und mich anfasste. Die Stationsleitung und die Stationsärztin hatten bereits mit ihm geredet und ich musste ihn nicht mehr betreuen.
Meine Kursleitung informierte ich auch über diese Zwischenfälle. Doch er reagierte sehr unangebracht,: „ Da müssen Sie wohl etwas falsch verstanden haben.“, war seine lapidare Antwort.
Heute, nach den ganzen Berufsjahren, würde ich ihm deutlich sagen, dass man eine Hand im Ausschnitt nicht falsch verstehen kann und ob er auch einmal möchte, denn sonst könnte ich mir seine Reaktion nicht erklären.
Damals, war ich zu jung und zu abhängig von diesem Mann, der eigentlich eine Fürsorgepflicht für mich hatte. Ich lächelte blöde und begrub das Thema.
Sicher wurde ich in den ganzen Jahren immer wieder von Männern unaufgefordert angefasst, doch hatte ich aus diesem Vorfall gelernt. Meine Kolleginnen und ich hatten jetzt die Grenzen gesetzt und nicht ein Vorgesetzter, nichts wurde runtergespielt oder ins lächerliche gezogen. Niemand durfte so mit unseren Schülerinnen umgehen, niemand schikanierte unsere Zivildienstleistenden und niemand wurde mit einer solchen Erfahrung alleine gelassen.
Am Wochenende hatten wir Besuch von Freunden, wir aßen zusammen und unterhielten uns.
Das Gespräch drehte sich um allerlei Themen, auch über die Grabscher.
Eine Freundin vertrat vehement die Auffassung, dass niemand sie anfasst, wenn sie es nicht möchte. Und das die vermeidlichen Opfer doch selber schuld wären, sie hätten sich doch so verhalten. Wenn man eben kein resolutes Auftreten hätte, dann bräuchte man sich nicht wundern. Alle starrten sie an. Sie redete sich immer weiter in Rage. Irgendwann sagte ich ihr, dass sie mir doch auch die Schuld daran gibt, dass dieser fremde Mann mich angefasst habe. Wenn man sich als Opfer verhält, dann ist man auch eins, war ihre Antwort. Ich hätte mich ja wehren können. Ja, das habe ich ja getan, sagte ich ihr. Doch das tat sie mit einer Handbewegung ab. Und polterte immer weiter, dass die Frauen es doch selber schuld wären.
Sie verstand die spezielle Situation in einem Krankenhaus nicht, die Hirachien und das man Patienten nicht schlagen darf. Auch verstand sie nicht, dass Krankenschwestern per se als willig, dumm und devot von vielen Menschen eingeschätzt werden und daraus häufig die Übergriffe resultierten. Da kann man als Krankenschwester noch so kompetent und resolut auftreten, vielen Männern scheint dies ein Anreiz zu sein. Selbst im Bekanntenkreis auf einer Party bin ich gefragt worden, ob es bei mir und Herrn L. nicht heiß hergehen würde, man würde ja so viel von Krankenschwestern hören. Das war kein Witz.
Ich frage mich, ob ich etwas in meinem Auftreten ändern muss. Doch niemand hat das Recht einen anderen Menschen an den intimsten Stellen zu berühren, ohne das derjenige das möchte und zustimmt. Mit der Aussage, wenn man sich wie ein Opfer verhält, dann ist man auch eins, gibt man den Tätern einen Freibrief! Die Verantwortung für die Tat, jegliche Tat, liegt dann nicht mehr bei dem Täter, sondern bei dem Opfer. Doch das Opfer hat sich nicht falsch verhalten, das Opfer hat keine gesellschaftlichen Normen überschritten.
Aber warum vertritt meine Freundin diese Meinung? Vielleicht hat sie Angst in eine solche Situation zu gelangen und plötzlich selber ein Opfer zu werden. Nicht damit umgehen zu können, einem fremden Menschen für einen kurzen Augenblick ausgeliefert zu sein.
Aber Stärke besteht nicht darin solche Situationen zu negieren oder die Verantwortung dem Opfer zu zuschreiben, sondern zu wissen das es solche übergriffigen Menschen gibt.
Und auch zu akzeptieren, dass jeder ein Opfer sein kann. Jeder kann in diese Situation kommen, ohne sie provoziert zu haben.
Mit meiner Verwunderung über die Ansicht meiner Freundin werde ich leben müssen, doch werde ich ihre Auffassung nicht teilen!

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Victim Blaming ist ein beliebter Sport. Bedeutet es doch, dass es konkrete Maßnahmen gibt, die dafür sorgen, dass es ihr [besagter Freundin mit der fragwürdigen Haltung]nie wird passieren können. Sie schafft einen Abstand zwischen sich und denjenigen, die sexuell belästigt werden.
Wenn die Menschen etwas getan haben oder auch nur die falsche mentale Einstellung haben, denen sexuelle (oder andere) Übergriffe widerfahren und sie genau diese Sachen nicht macht oder nicht hat, ist sie sicher. Und das ist bei den meisten Menschen ja ein Hauptziel. Sicher sein.

Ich würde ja immer davon ausgehen, dass die Menschen schuld haben, die die Übergriffe durchführen.

Nina hat gesagt…

@kochschlampe
Ja, dass ist es glaube ich!
Doch diese Sicherheit gibt es nicht.

Anonym hat gesagt…

Das ist die Meinung deiner Freundin, die ich nicht im Geringsten teile. Nach meiner Ansicht hat niemand das Recht, jemand unaufgefordert zu berühren, noch dazu an Intimstellen und das egal, wie derjenige angezogen ist oder sich verhält.

Christiane