Freitag, 1. Januar 2010

4. Hochzeitstag


Seit vier Jahren sind Herr L. und ich jetzt verheiratet!
Am 31.12.2005 waren wir das letzte Brautpaar in dem Jahr.
Unsere Hochzeit war sehr spontan, da eigentlich ein anderes Datum geplant war, doch am 30.12.2005, mittags, da wussten wir, dass wir so schnell wie möglich heiraten müssen.
Bereut haben wir es bis heute nicht!
Hier ist die Geschichte!

30.12.2009

Herr L. war wie immer früh aufgestanden, um zur Arbeit zu gehen. An diesem Morgen drängelte ich mich mit vor dem Waschbecken, denn ich hatte meiner Mutter versprochen mit ihr ins Krankenhaus zu fahren.
Der Tag war grau kalt und feucht. Auf der Strasse war wenig Verkehr, so dass ich zeitig bei meinen Eltern eintraf. Meine Mutter hatte schon gewartet.
„ Hast du gut geschlafen? Wie lange wird das wohl dauern? Der Papa und ich wollen heute mittag Nudeln essen. Ist der Herr L. arbeiten? Wo ist denn Dein Vater? Wir sind jetzt weg!“
Im Auto sah meine Mutter mich von der Seite an.
„ Deine Haare sind aber lang geworden. Habe ich schon Weihnachten gedacht. Weihnachten war schön. Meinst du es ist etwas schlimmes?“
„ Das weiß ich nicht Mama, aber deshalb fahren wir hin.“
„ Ich will aber nicht da bleiben!“
„ Wenn du nicht dableiben willst, dann musst du auch nicht!“
Im Krankenhaus angekommen, steuerte meine Mutter zielsicher die interne Ambulanz an.
Ich setzte mich in das Wartezimmer, mit riesigem Plasmafernseher.
Nach einer Weile ging die Türe auf und eine Ärztin setze sich neben mich.
„Sind sie die Tochter von Frau P.?“
„ Ja“
„ Weiß Ihre Mutter wie schlecht es um sie steht?“
„ Nein, wenn Sie es ihr nicht gesagt haben, dann nicht.“
Wir schauten uns kurz an.
„ Wenn Sie noch etwas gemeinsam zu erledigen haben, dann sollten Sie es jetzt tun.“
„ Aber sie bleibt nicht da!“
„ Das darf ich nicht entscheiden. Ihre Laborwerte sind lebensbedrohlich!“
Diese Aussage ließ mich sie doch etwas verwundert angucken.
„ Ja, und? Sie werden sie nicht mehr heilen können. Was wollen Sie denn hier machen?“
„ Ihr Tropfen für ihre Gerinnung geben.“
„ Und was noch? Wir kommen morgen früh zur Kontrolle wieder.“
„ Wenn Sie mir das versprechen, dann spreche ich mit der Oberärztin.“
Sie ging wieder.
Jetzt saß ich in diesem Raum und wusste nicht was ich tun sollte.
Sollte ich jetzt meiner Mutter sagen, dass sie sterben wird?
Das konnte ich nicht.
Die Türe öffnete sich und meine Mutter betrat siegessicher den Raum.
„ So, jetzt bekomme ich noch ein paar Tröpfchen und dann gehen wir.
Ich muss aber Morgen wieder hin, zur Kontrolle. Wie viel Uhr ist es? Der Papa hat bestimmt schon Hunger. Was wollte denn die Ärztin von dir?“
„ Ob ich morgen mit dir komme und du auch hier hin kommst.“
„Die ist nett. Ich habe auch mit der Oberärztin gesprochen, die dicke mit dem mürrischen Gesicht, die sagt, wenn du dich kümmerst, dann kann ich gehen.“
„ Genau“
Auf dem Rückweg redeten wir über so viele belanglose Dinge, ich erinnere mich nicht mehr daran.
Sobald meine Mutter ausgestiegen war und ich vom Haus entfernt war hielt ich an. Mir liefen die Tränen über die Wangen.
Herrn L. anrufen, dachte ich mir!
Nach einem kurzem Telefonat fuhr ich zu seinem Büro.
Unterwegs kam mir noch meine Kusine mit ihrem Auto entgegen. Sie rief ich auch an.
„ Nienchen, du sollst doch nicht mit dem Handy während des Fahrens telefonieren!“
„ Die Mama stirbt, Tannie!“
Sie war genauso entsetzt wie ich.
„ Und jetzt?“
„ Ich weiß nicht. Sie ist zu Hause und isst Nudeln mit dem Papa.“
„ Weiß sie es denn nicht?“
„ Nein, es hat ihr niemand gesagt, ich auch nicht.“
„ Willst du zu mir kommen?“
„ Nein, ich fahre jetzt zu Herrn L.. Rufe dich aber noch mal an.“
Herr L. war genauso schockiert wie wir alle.
Im Auto fragte er mich, ob ich ihn denn auch schon morgen heiraten würde.
Ja, sicher, aber wie sollte das denn so schnell gehen?
Ich rief wieder meine Kusine an und erzählte es ihr. Sie sucht schon die Telefonnummer des Standesamtes raus. Aber da war niemand mehr. Aber wir kannten die Standesbeamtin, mit ihrem Sohn bin ich zur Schule gegangen. Also, kurz und gut, fuhren wir zu ihr nach Hause. Dort erzählten wir ihr alles, sie rief kurz im Amt an und wir konnten morgen heiraten.
Danach trafen wir uns wieder bei meinen Eltern.
Meine Mutter verstand, war zu tiefst erschüttert. Doch freute sie sich.
Herr L. und ich ließe meine Kusine mit ihrem Kind bei meinen Eltern und fuhren Richtung Stadt.
Denn, ich hatte nichts, was man zu seiner Hochzeit anziehen könnte.
Jeans, T-Shirts, Turnschuhe, davon besitze ich genug, aber einen Blazer gab es nicht in meinem Schrank. Nur noch einen ollen schwarzen Hosenanzug, den wollte ich aber nicht zu meiner Hochzeit tragen.
Doch wir fanden nichts in der Stadt.
Gut, dachte ich, dann tut es auch der braune Rock mit dem grünen Rolli.
Enttäuscht fuhren wir nach Hause. Wir riefen dann noch Herrn L.s Eltern, seine Schwester und meine beste Freundin an, mehr nicht.


31.12.2005


Meine Mutter stieg ins Auto.
„ Und, bist du schon aufgeregt? Die Tannie holt uns ab. Ich weiß noch nicht was ich anziehen soll. Angelika bringt den Kuchen mit, danach fahren wir dann ja zu euch.“
Letzte Nacht hatte ich so schlecht geschlafen. Wie eine zukünftige Braut sah ich leider nicht aus.
„ Ja. Wie geht es dir denn?“
„ Wie soll es mir schon gehen? Wo kann man denn da parken? Soll ich mit dem Taxi zurück fahren, wenn es zu lange dauert?“
„ Quatsch, gestern ging es doch auch schnell.“
Ja, aber gestern war der riesige Fernseher aus, heute gruppierten sich trotz der frühen Stunde schon diverse Senioren im Wartezimmer um ihn. Es lief QVC! Meine Mutter enterte das Wartezimmer und sah kurz auf den Fernseher.
„ Nina, kannst du das umschalten, dass ist ja fürchterlich!“
Neben mir schimpfte dann auch der ältere Herr los, dass dieses Programm eine Zumutung sein. Das Wartezimmer lief sich langsam warm. Meine Mutter stand auf und stellte den Fernseher um. Dafür erhielt sie fast tosenden Applaus. Aber dann mischte meine Mutter das Wartezimmer richtig auf.
„ Das dauert aber heute lange! Wissen Sie, meine Tochter heiratet heute!“
Ich sah betreten nach unten.
Aus allen Ecken kam, herzlichen Glückwunsch, das ist ja toll und da lässt man sie solange warten.
„ Ja, wo das Kind auch noch mitgekommen ist!“
Das Kind sah jetzt betreten in die Runde und lächelte blöde. Meine Mutter sah ich strafend an.
„ Sei jetzt still, ich will das nicht!“
„ Warum, ich freue mich und das können alle wissen!“
Wieder zustimmendes Gemurmel aus den Rängen.
Der ältere Herr gratulierte und teilte mir gleichzeitig mit, dass meine Mutter Recht hätte.
Wir wurden aufgerufen! Diesmal ging ich mit, in der Hoffnung dort etwas Ruhe zu haben.
Meine Mutter setzte sich auf die Liege und ließ die Beine baumeln.
„ Wissen Sie“, setzte sie an, „ meine Tochter heiratet heute.“
Falls ich es noch nicht begriffen hätte, spätestens aber jetzt.
„ Das ist aber toll!“
Die Ärztin sah desinteressiert hoch, es war nicht die von gestern.
„ Ja, und deshalb würde es mich sehr freuen, wenn es hier ein bisschen schneller ginge! Sie heiratet um 14 Uhr und jetzt haben wir schon 11 Uhr!“
„ Oh, da sind sie aber bestimmt schon aufgeregt! Aber ihre Laborwerte sind so schlecht, ich kann sie gar nicht gehen lassen!“
So, jetzt reichte es mir aber!
„ Die Laborwerte waren auch schon gestern schlecht!“
„ Ja, aber heute bin ich da!“
„ Meine Tochter heiratet heute!“
Was für ein Zirkus!
„ Ob Sie heute da sind oder nicht, meine Mutter kommt wieder mit! Das ist mit ihrer Oberärztin abgesprochen. Jetzt geben Sie ihr ihre Tropfen!“
Was ich dieser unattraktiven blonden fetten Frau sonst noch alles gerne gesagt hätte, behielt ich für mich. Aber sie sah es mir an!
„ So, wenn ich jetzt die Tropfen bekomme, dann können wir gehen, ich komme morgen wieder!“
„ Heiraten Sie?“ fragte mich die Ärztin.
„ Ja, und stellen sie sich vor, ich habe noch nichts anzuziehen!“
Das war das Stichwort für meine Mutter.
„ Kann ich jetzt bitte die Tropfen haben, wir müssen los, meine Tochter heiratet heute!“
Ich fuhr meine Mutter nach Hause und dann in die Stadt.
Zu dem braunen Rock brauchte ich noch eine Strumpfhose. Auf dem Parkplatz rief ich eine gute Freundin von mir an und erzählte ihr, mittlerweile hatten wir 12 Uhr, dass wir um 14 Uhr heiraten werden. Sie schluckte und sagte, sie hätte jetzt noch einiges zu tun und legte auf.
Es regnete und ich wurde pudel nass.
Die Strumpfhose hatte ich jetzt, eigentlich könnte ich nach Hause, es war auch schon 12.30 Uhr.
Doch dann ging ich noch in den kleinen Laden.
„ Guten Tag, ich heirate heute um zwei und habe noch nichts anzuziehen!“ Meine Mutter hatte mich auch schon ganz irre gemacht.
„ Morgen um zwei oder heute Nacht um zwei?“ Fragte sie mich.
„ Jetzt gleich um zwei!“
Sie sah mich an und zeigte mit dem Arm Richtung Kabine.
„ Dann ziehen Sie sich schon mal aus!“
Hier fand ich das perfekte Kleid!
Doch jetzt hatten wir schon 13 Uhr!
Nach Hause bin ich gerast!
Um 13.20 Uhr kam ich an.
Herr L. stand schon im Anzug in der Tür.
Ich rannte ins Bad, duschen und Makeup, ich sah ja aus wie eine Wasserleiche.
13.50 Uhr stand ich fertig angezogen vor meinem Bräutigam. Er hatte mir in der Kürze der Zeit auch noch einen Brautstrauss gekauft, den er mir lächelnd gab.
„ Bin ich froh, dass er zum Kleid passt! Nur wir kommen zu unserer eigenen Hochzeit zu spät!“
„ Ohne uns fangen die so wie so nicht an!“
Im Rathaus angekommen, warteten alle schon auf uns.
Es waren so viele von unseren Freunden da!
Meine Mutter strahlte über das ganze Gesicht!


Das war die Geschichte zu unserer Hochzeit.
Jeder Zeit würde ich es wieder so machen und Herrn L. von jetzt auf gleich heiraten!
Die vier Jahre gingen rasend vorüber, und ich hoffe, dass wir noch unzählige Hochzeitstage gemeinsam erleben werden!

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

eine Weihnachtsgeschichte, die nach Fortsetzungen ruft.

Ein gutes Jahr bzw. noch viele gute Jahre wünsche ich euch beiden !

Nina hat gesagt…

Danke!

Anonym hat gesagt…

Das war sehr traurig, dass ich mir ein paar Tränchen verdrücken muß.
Ich wünsche euch auch für das kommende Jahr alles Gute!

Die Geschichte im Krankenhaus kommt mir sehr bekannt vor und ist mit meiner Mutter ähnlich verlaufen. Die Docs haben sie im Ungwissen gelassen, nur mir haben sie es knallhart gesagt. Und ich stand da, genau wie Du, und versuchte für sie und mich stark zu sein.

Anonym hat gesagt…

Ach so, der Beitrag war übrigens von mir, Christiane.

Nina hat gesagt…

@Christiane
So traurig war es in dem Moment garnicht. Meine Mutter war glücklich und hatte Spass. Schrecklicklich war nur die Gewissheit, dass die Zeit mit meiner Mutter plötzlich so begrenzt war. Für alle.

rebhuhn hat gesagt…

was für eine traurig-schöne geschichte. ich habe gänsehaut beim lesen bekommen. herzlichen glückwunsch zum hochzeitstag! :D

Nina hat gesagt…

Danke, Frau Rebhuhn.Ein frohes neues Jahr wünsche ich Dir.

Kingsizefairy hat gesagt…

Ach Nina,

nun habe ich einen Kloss im Hals, sooooo einen dicken!

Die Geschichte ist so schön und auch so traurig.

ich wünsch euch noch viele glückliche Jahre!

Nina hat gesagt…

@kingsizefairy
Danke, doch wie schon mal gesagt, so traurig war es in dem Moment garnicht.
Und meine Mutter strahlte über das ganze Gesicht, nachdem sie mit meiner besten Freundin bald das ganze Trauzimmer in ihren Tränen ertränkt hätte.
Es war eine wunderschöne Hochzeit.